Foo-Fighters-Frontmann Dave Grohl: »Manchmal träume ich von Nirvana« (2024)

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SPIEGEL: Mr. Grohl, Ihr neues Album heißt »Medicine At Midnight« – etwa beeinflusst von der Pandemie?

Dave Grohl: Nein, alle Songs wurden bereits 2019 komponiert, also vor Corona. Sonst hätte ich es ja gleich »Vaccine At Midnight« nennen können (lacht). Dennoch kann man viele Songtexte verblüffend gut auf die aktuelle Lage münzen.

SPIEGEL: Um welche Medizin geht es?

Grohl: »Medicine At Midnight« handelt vom Gefühl, dass einem irgendwas fehlt, dass man nicht zufrieden ist. Der Song fiel mir ein, als ich eines Abends nicht einschlafen konnte: Fehlte mir ein Drink, ein gutes Buch, sollte ich noch mal um den Block rennen? Ich bin ein Insomniac, ein Rastloser, ich habe zu viel Energie. Eine Antwort auf die Frage, welche Medizin mich schlafen lässt, gibt es nicht.

SPIEGEL: Sie haben in Ihrem Leben viel erreicht. Und sind dennoch unzufrieden?

Grohl: Ich bin dankbar für vieles. Aber ich will einen Tag nicht einfach nur rumbringen, sondern etwas Gutes schaffen. Diese Einstellung hält meinen Motor am Laufen. Nach Kurts Tod und dem Ende von Nirvana hat sich das noch verstärkt. Da habe ich gemerkt, wie verdammt kurz das Leben ist. Du musst jeden Tag nutzen. 24 Stunden reichen mir nicht, darum schlafe ich nicht gern. Reinste Zeitverschwendung. Wer weiß schon, wie viel Zeit einem bleibt? Immer habe ich neue Projekte im Kopf. Wenn du mal anderthalb Jahre auf Tournee warst und dann nach Hause kommst, willst du deine Gitarre nicht einmal ansehen, schon gar nicht spielen. Du stellst sie in die Ecke. Aber deinen Kreativmuskel willst du trotzdem nutzen. Ich finde immer neue Wege, etwa Regie führen oder Drehbücher schreiben.

Foo-Fighters-Frontmann Dave Grohl: »Manchmal träume ich von Nirvana« (1)

SPIEGEL: Slash hat in einem SPIEGEL-Interview erzählt, dass er nach Tour-Ende oft schlecht drauf war. Zu Hause wurde ihm langweilig, es fehlte die tägliche Routine – und dann griff er zu Heroin.

Grohl: Slash ist mein direkter Nachbar (lacht). Ich kann das gut nachvollziehen. Außenstehende stellen sich das Tourleben wahnsinnig aufregend vor, exzessiv und glamourös. Aber meist ist alles straff durchorganisiert wie beim Militär. Du weißt immerzu, wann du wo zu sein hast: 15.30 Uhr Treffen in der Hotellobby, 17 Uhr Soundcheck, um 21 Uhr auf die Bühne. Man fühlt sich wie auf Autopilot. Nur so kann es auch funktionieren, sonst herrschte Chaos. Daheim hast du dann plötzlich viel Zeit und weißt nicht, was du anstellen sollst. Manche Musiker malen Bilder, um sich abzulenken, oder greifen eben zu Drogen. Tief drin wissen wir alle, dass Musik das einzige ist, was wir wirklich wollen.

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SPIEGEL: Sie sind Gitarrist, Drummer, Sänger und Songwriter, dazu Musik- und Filmproduzent, Dokumentarfilmer, Regisseur. Wollen Sie zu viel?

Grohl: Ich finde nicht, dass ich überehrgeizig bin. Vor einiger Zeit habe ich mich mit Brian May von Queen unterhalten. Zuvor hatte ich ihm einen Demosong geschickt und fragte, ob er ihn zu prätentiös oder gar zu pompös finde. Er meinte: »Zu pompös« gibt es im Rock nicht. Okay, er spielt bei Queen (lacht). Ich denke, man kann auch nicht zu ambitioniert sein. Just do it! Der Rest ergibt sich oft. An Ehrgeiz ist nichts Schlechtes, es pusht dich.

SPIEGEL: Neben all dem Rockstar-Rummel sind Sie auch Vater dreier Töchter. Ihre Mutter hat Sie und Ihre Schwester Lisa allein großgezogen.

Grohl: Ja, meine Eltern trennten sich, als ich sechs war. Mom war früher Lehrerin und ist so f*cking cool. Wir sind oft zusammen ins Kino gegangen, sie nahm mich mit in Jazzklubs, hat mich in allem unterstützt und musste hart arbeiten, um uns durchzubringen, zeitweise mit drei Jobs. Mich hat das geprägt. Meinen Kids möchte ich auch ein Freund und positiver Einfluss sein. Sie sollen glücklich aufwachsen, sich geliebt fühlen und wissen, dass sie sich frei entfalten können.

SPIEGEL: Letzten Sommer standen Sie und Ihre Tochter Violet mit dem Adele-Song »When We Were Young« auf der Bühne. Was halten Ihre Kinder von Rock'n'Roll?

Grohl: Meine Kids sind musikalisch weitaus talentierter, als ich es in ihrem Alter war. Shows wie die »MTV Music Awards« mit all den neuen Pop- und Rap-Künstlern schauen sie sich nicht an, es ist ihnen nicht Rock'n'Roll genug! Meine Töchter und ihre Freunde spielen in Bands, mit Gitarren, Drums. Sie covern Led Zeppelin, die Beatles und David Bowie. Vor drei Tagen sind sie in einem Restaurant aufgetreten und sangen »Dream A Little Dream Of Me« in der Version von The Mamas & The Papas, ein Hippie-Lied aus den späten Sechzigern, danach »Starman« von Bowie.

SPIEGEL: Also ist Rock noch nicht tot?

Grohl: Mit jetzt 52 sehe ich aus wie Gandalf in »Der Herr der Ringe«, der alte, graue Zauberer. Aber ich beobachte diese junge Generation und glaube, da wächst eine neue Generation heran, die handgemachte Rockmusik wieder zu schätzen weiß. Musik ist für mich wie ein wilder Garten, in dem ganz verschiedene Pflanzen sprießen. Man muss sie wachsen lassen. Rock wird nicht sterben. Die Fackel wird weitergetragen.

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SPIEGEL: Als größten Tag Ihres Lebens bezeichneten Sie mal den 7. Juni 2008, als Sie mit den Foo Fighters im ausverkauften Londoner Wembley-Stadion rockten.

Grohl: Das allein war schon Wahnsinn genug. Aber dann traten Jimmy Page und John Paul Jones, meine absoluten Jugendhelden, auf die Bühne, um mit uns zu jammen. Ich dachte, ich bin in einem Film. Wir spielten den Led-Zeppelin-Klassiker »Rock And Roll«, danach »Ramble On«. Ich wechselte ans Schlagzeug und ließ unseren Drummer Taylor Hawkins singen. Ein einmaliges Erlebnis.

SPIEGEL: Wie kam es zu der Aktion?

Foo-Fighters-Frontmann Dave Grohl: »Manchmal träume ich von Nirvana« (2)

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Dave Grohl: Manche nennen ihn »Grunge-Ringo«

Foto: Simone Joyner/ Getty Images

Grohl: Als ich Jimmy zu unserer Show einlud, war ich echt gehemmt und murmelte beim Anruf: Wie wär's, wenn wir gemeinsam »Rock And Roll« spielen? Und er ganz cool: Okay, wir sehen uns beim Soundcheck. Ich konnte es kaum glauben. Beim Gig hinterm Drumkit, mit diesem grandiosen Blick ins Stadionrund und direkt vor mir zwei der größten lebenden Legenden des Rock, dachte ich wirklich, ich träume.

SPIEGEL: Welches Ziel haben Sie sich für 2021 gesetzt?

Grohl: Den Leuten neue Musik zu bieten. Keiner kann zurzeit auf Tour gehen, Liveshows sind nicht möglich, also sollen die Fans wenigstens unsere neuen Songs hören können und daraus – im besten Fall – Kraft ziehen, Hoffnung schöpfen oder einfach nur Spaß damit haben. Darum schreibe ich ja Songs. Ich will Menschen bewegen, sie zum Mitsingen animieren. Das muss nicht in einer großen Arena sein, es geht auch allein in der Küche mit einer Flasche Wein. Wenn mir das gelingt, ist das für mich gefühlt auch so ein Wembley-Stadion.

SPIEGEL: Am 1. März 1994 traten Nirvana in München zum letzten Mal mit Kurt Cobain auf. Wie erinnern Sie sich daran?

Grohl: Die Show eröffneten wir mit »My Girl's Best Friend«, einem Song von The Cars, »Heart Shaped Box« war die letzte Zugabe. Die ganze Tour verlief problematisch. Kurt war gesundheitlich angeschlagen, seine Stimme klang heiser, er kämpfte sich mit Mühe durchs Programm. Eine schwierige Zeit für uns als Band. Ich weiß nicht, was härter war: berühmt zu werden oder berühmt zu bleiben. Wir wollten das alles nicht, es fühlte sich seltsam an. Als die Band 1991 mit »Nevermind« förmlich explodierte, war das ein ganz anderes Gefühl als 1994. Nach dem Münchner Konzert war uns klar, dass wir dringend eine Pause brauchten. Keiner ahnte, dass Kurt schon bald nicht mehr unter uns sein würde.

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SPIEGEL: Denken Sie noch oft an ihn?

Grohl: Das tue ich. Wir waren beste Freunde geworden. Manchmal träume ich von Nirvana. Ich stelle mir vor, dass wir auf die Bühne müssen, weil da Fans auf uns warten. Immer wieder wird mir schmerzlich bewusst, dass Kurt, der all diese wunderbaren Songs geschrieben hat, nicht mehr da ist.

SPIEGEL: Suchtmittel haben Kurt Cobain ruiniert. Haben Sie in der großen Zeit des Grunge ebenfalls Drogen genommen?

Grohl: Schon mit 20 Jahren habe ich damit aufgehört. Das war wohl die wichtigste Entscheidung. Harte Drogen habe ich nie konsumiert, aber Marihuana (»Pot«) geraucht und ab und an psychedelische Substanzen genommen, Halluzinogene. Alkohol trinke ich bis heute und rauche auch. Aber eben nicht übertrieben. Und schon vor meiner Zeit bei Nirvana hatte ich gute Freunde an Drogen verloren.

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SPIEGEL: Hat Sie diese Erfahrung überleben lassen?

Grohl: Weil ich das Elend hautnah miterlebte, war für mich früh klar: Überleben steht an oberster Stelle! Die Foo Fighters stehen für Survival, seit nunmehr 25 Jahren. Ich erinnere mich an eine Tour mit Pearl Jam, als ich am Bühnenrand einmal heulen musste, weil mir klar wurde, dass wir uns glücklich schätzen müssen, Überlebende zu sein in diesem verrückten Zirkus namens Rock'n'Roll. Wenn man als Band einen Musiker verliert, ist das immer tragisch, klar. Aber wenn dein Sänger stirbt, ist das noch viel schlimmer, denn mit ihm stirbt die Stimme der Band. Deshalb lehne ich es ab, Nirvana-Songs zu singen. Es bleiben Kurts Lieder.

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